Wege in Europa

[Norwegen] 4444 Stufen auf der Flørli-Treppe

Die Fakten
6 km 750 hm 750 hm
Start und Ziel: Flørli
Beschreibung

Anfang Juni in Norwegen habe ich meine wohl außergewöhnlichste Wanderung bisher unternommen. Ihr seht schon an der Faktenbox, dass das ziemlich viele Höhenmeter für so wenige Kilometer sind und das liegt daran, dass man bei dieser Wanderung sage und schreibe 4444 Stufen erklimmen muss.

Aber Zeit für ein wenig Kontext: Flørli liegt im Lysefjord und ist nur zu Fuß oder per Fähre erreichbar (die Fährverbindungen findet man hier), da keine Straßen in die kleine Ortschaft hineinführen. 1916 wurde hier für die Stromversorgung von Stavanger ein Kraftwerk gebaut. Entlang der Rohrleitung, die vom Damm am Ternevatnet bis zum Kraftwerk am Ufer führt, verläuft eine Holztreppe – außerdem die Schienen einer Standseilbahn, die aber nicht mehr im Betrieb ist. Die Holztreppe ist begehbar (wenn auch stellenweise nicht hundertrprozentig vertrauenserweckend) und eine der längsten der Welt.

Da ich für meinen Ausflug zum Preikestolen bereits im Lysefjord war, wollte ich mir diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen lassen. Ich erreichte Flørli am frühen Nachmittag mit der Fähre nach einer nicht ganz einfachen Anreise vom Preikestolen.

Als ich meine Wanderung begann, war es schon nach 15 Uhr, aber da es im Juni in Norwegen so lange hell ist, hatte ich dennoch reichlich Zeit. Der Weg beginnt am Fuße der Treppe und dann geht es tatsächlich erst einmal nur Stufe für Stufe bergauf. Ich ließ gleich zu Beginn zwei andere Wanderer an mir vorbei und hatte diese immer wieder mal vor mir im Blick, aber außer uns dreien war niemand unterwegs.

Wie man sieht, führt die Treppe zunächst wirklich geradeaus den Berg hinauf. Das bedeutet, dass man sehr weit nach unten sieht und fantastische Blicke auf den Fjord hat, aber zugleich ist dieser Blick auch ein wenig beängstigend. Ich habe es schon öfter erwähnt: Ich habe zwar keine Höhenangst, bin aber auch nicht wirklich schwindelfrei und mag keine ausgesetzten Wege oder direkte Blicke in die Tiefe. Diese Wanderung kostete mich also einige Überwindung, aber ich halte viel davon die eigene Komfortzone regelmäßig zu verlassen.

Nach 800 Stufen gibt es eine Verbindung zu einem Wanderweg und man kann die Treppe also zu diesem Zeitpunkt abbrechen. Danach gibt es im Grunde kein Zurück mehr, da man die Treppe nicht nach unten gehen darf – die Stufen sind zu schmal um entgegenkommenden Leuten auszuweichen und ganz ehrlich: Dem ständigen Blick in die Tiefe hätte ich mich sowieso nicht aussetzen wollen. Ich dachte kurz darüber nach, ob ich nach diesen 800 Stufen die Treppe verlassen sollte, da es zu dem Zeitpunkt schon ganz schön anstrengend war, aber mich reizte der weitere Weg zu sehr für einen so frühen Abbruch. Nach etwa 2000 Stufen kam dann der Moment, an dem ich meine Entscheidung bereute, aber nun war es zu spät zur Umkehr. Also ging es weiter … und weiter … und weiter …

Die Stufen sind immer wieder mit einer Zählung versehen – man weiß also jederzeit, wieviel man noch vor sich hat. Meistens haben sie ungefähr dieselbe Steigung wie eine normale Treppe, aber es gibt auch steilere Abschnitte, die eher einer Leiter entsprechen.

Zwischendurch gibt es ab und zu kleine Plattformen, auf denen man ein wenig verschnaufen kann – hier traf ich auch immer wieder mit den beiden anderen Wanderern zusammen. Ab und zu gab es auch willkommenen Schatten, doch ansonsten brannte an diesem Nachmittag die Sonne erbarmungslos auf die Treppe.

Nach knapp zwei Stunden (inklusive Pausen) war schließlich das Ziel zum Greifen nahe. Da die letzten Stufen eigentlich keine richtigen mehr sind, wie man auch auf den Fotos sieht, war der letzte Teil nicht mehr so anstrengend.

Als ich endlich oben am See angekommen war und das Panorama über den Lysefjord genießen konnte, hatte sich alle Anstrengung gelohnt. Der Ausblick war einfach fantastisch!

Von hier ging es nun über den Rallarstien hinunter, wobei zu Beginn mal wieder die übliche norwegische Schnitzeljagd angesagt war: Da es über die Felsen keinen erkennbaren Weg gab, hieß es von Markierung zu Markierung navigieren.

Nach etwa einem Kilometer wurde der Weg dann deutlich einfacher, wenn auch steiler. Es ging nun wechselweise durch den Wald, über Holzplanken, über Steinstufen und Brücken. Dieser Weg hinab war natürlich nicht so einzigartig wie die Treppe, aber dennoch sehr schön.

Etwa dreieinhalb Stunden nach meinem Aufbruch kam ich beim historischen Hostel an, in dem ich mein Zimmer hatte. Dieses Hostel erinnerte mich auf eine schöne Weise an die Pilgerherbergen auf dem Olavsweg, da es einen gemütlichen Aufenthaltsraum gab und eine Gemeinschaftsküche. Was es allerdings nicht gab, war Empfang oder Internet, daher ging ich noch einmal hinunter zum Hafen, um meine Fähr- und Busverbindungen am nächsten Tag zu checken – und konnte dort noch eine schöne Abendstimmung einfangen.

Angesichts der wunderschönen Gegend bereute ich es, dass ich am nächsten Morgen bereits früh mit der Fähre abreisen musste und nicht noch eine Wanderung hier unternehmen konnte. Allerdings hatte ich bei der Buchung natürlich nicht gewusst, dass ich so ein traumhaftes Wetter haben würde.

Von der Fähre am Morgen hatte ich nochmal einen Blick auf Flørli und die Treppe. Zur Erinnerung: Die Stufen verlaufen ganz schmal am Rand – das in der Mitte, das aus der Ferne wie Stufen aussieht, sind die Schienen der ehemaligen Standseilbahn.

Fazit: Eine einzigartige Wanderung, die es trotz der geringen Kilometeranzahl in sich hat. Es ist vermutlich eine der anstrengendsten Wanderungen, die ich jemals gemacht habe und ich hatte so einige Momente, in denen ich gern abgebrochen hätte, wenn das möglich gewesen wäre. Aber am Ende hat es sich doch mehr als gelohnt und es war fast noch beeindruckender als der Preikestolen.

2 Comments

  • Julian

    Na immerhin gibt es eine Treppe. 😉 Ich frage mich aber tatsächlich, ob ein normaler Weg (im Sommer) dort nicht einfacher wäre.
    Fantastische Blautöne konntest Du einfangen!
    Und ein Ort ohne Autos muss ja ein Traum sein.

    • Judith

      Dort, wo die Treppe ist, wäre es großteils zu steil für einen normalen Weg (das kommt auf den Fotos mal wieder nicht entsprechend rüber), da ginge wohl nur ein Klettersteig. Aber ansonsten gibt es rund um Flørli viele schöne Wanderwege, von denen einige auch im Winter begehbar sind (die Treppe ist im Winter gesperrt). Also da würde sich auch ein etwas längerer Besuch lohnen.

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